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Kurz vorgestellt: Wichtige vormoderne Yoga-Texte Indiens

Es ist mir eine Ehre und Freude, mit euch eine beispiellose Reise in die lebendige Geschichte und Textgrundlagen des Yoga zu unternehmen. Seit Tausenden von Jahren haben Yoga-Praktiken die menschliche Existenz geprägt, indem sie persönliche Transformation, spirituelle Erleuchtung und eine tiefere Verbindung mit dem Universum ermöglichen. Durch die Betrachtung und Analyse der Schlüsseltexte, die das Yoga geprägt haben, können wir die im Laufe der Zeit entstandene Vielfalt an Lehrmeinungen, Interpretationen und Schulen bewusst erfassen. Jeder dieser Yoga Texte birgt die Fähigkeit, tieferes Wissen, Verständnis und Einfühlungsvermögen hervorzubringen, und spricht auf einzigartige Weise zur menschlichen Erfahrung und Transformation.

In einer strukturierten Zeitreihenfolge nehmen wir uns zuerst diesen beachtlichen Manuskripten vor, welche unablässig zum wachsenden Mosaik unseres Verständnisses über Yoga beitragen. Abgesehen von den breit anerkannten yoga-spezifischen Werken, werden wir einen bedeutenden Fokus auf die Schriften des klassischen, nondualen Tantra legen. Dieser, obwohl allgemein weniger bekannt, hat einen beachtlichen Einfluss ausgeübt – nicht nur auf den tibetischen und Zen-Buddhismus, sondern auch auf den modernen Yoga, der mehr Tantra-Elemente beinhaltet, als selbst den meisten Yoga-Lehrenden bewusst ist.

Hier folgt nun – eine zwangsläufig unvollständige Liste – einiger bedeutender historischer Yoga Texte:

  1. Die Katha Upanishad, ein klassischer Text, der das Geheimnis der Unsterblichkeit enthüllt und unsere Ideen über Leben und Tod in Frage stellt
  2. Die Vasishta Yoga, die die tiefgreifenden philosophischen Ansichten über das Selbst, das Universum und die ultimative Realität darlegt
  3. Die Goraksha Samhita und die Shiva Samhita, die wichtige Referenzen für Hatha Yoga sind
  4. Der Bhagavad Gita, ein Epik, der den Weg zu spiritueller Exzellenz und die Kunst der Selbstverwirklichung lehrt
  5. Die Yogasutras von Patanjali, ein grundlegendes Werk, das die Prinzipien und Praktiken des Raja Yoga systematisiert
  6.  Die Spandakārikā schildert die Entfaltung des Universums und die Manifestation des Bewusstseins in seiner Vielfalt, alles gesehen als Ausdruck der göttlichen Vibration (Spanda)
  7. Das Tantrāloka ist ein entscheidender Beitrag zur Trika-Tradition des Kaschmir-Shaivismus. Dieser Text, der oft als de facto Enzyklopädie des nondualen Tantra angesehen wird, vertieft sich in die feinen Aspekte der Spiritualität, entlang der Linien der Verschmelzung von Shiva und Shakti.
  8. Das Pratyabhijñāhṛdaya zeichnet sich durch seinen spezifischen und tieferen Zugang zum Konzept des Selbsterkennens aus. Daraus entsteht das Herz oder die Essenz der Wiedererkennung – die Wiedererkennung des Selbst als universelle Wirklichkeit, die als Shiva bezeichnet wird.
  9. Das

    Vijnana Bhairava Tantra. Anstatt abstrakte philosophische Konzepte zu diskutieren, bietet der Text eine Anleitung, wie sich das Bewusstsein direkter erleben lässt. Dabei wird eine Fülle von Techniken vorgestellt, wie zum Beispiel Atemübungen (Pranayama), Meditation (Dhyana), Kontemplation (Dharana), Mantra-Praxis und Imagination.

  10. Die Hatha Yoga Pradipika bietet den Lesern wertvolle Einblicke in die Prinzipien und Praktiken des Hatha Yoga, einschließlich Asanas (Körperhaltungen), Pranayama (Atemtechniken), Mudras (Energiesiegel) und Meditation.

Die in diesem Abschnitt vorgestellten Texte und Schriften haben die Yoga-Praktiken tiefgreifend geformt. Im folgenden Abschnitt werden wir diese Schlüsselwerke etwas näher betrachten, die in unterschiedlichen Epochen einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung und die verschiedenen Richtungen des Yoga ausübten.

 Katha-Upanishad

Die Katha-Upanishad ist eine der ersten eindrucksvollen Schriften über Yoga, aus dem vierten oder fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Sie wird oft als konkrete Einführung in den Yoga-Weisheitsweg betrachtet und vermittelt tiefe Erkenntnisse mit kraftvollen und einprägsamen Metaphern.

Laut dieser Upanishad ist Yoga „das Band, das das menschliche Bewusstsein mit dem göttlichen Universum verbindet“. Es ist sowohl ein philosophischer Dialog als auch ein praktischer Leitfaden, der seinen Lesern hilft, selbst der Ursprung des kosmischen Bewusstseins zu werden. Dabei vergleicht die Katha-Upanishad detailliert das menschliche Leben mit einem Wagen, den Körper mit einem Wagen, die Sinne und Gedanken mit Pferden und den Wagenlenker als das individuelle Bewusstsein. Dieses sinnliche Gleichnis lehrt die Beherrschung der Sinne und Gedanken und zeigt den Weg zur Selbsterkenntnis auf.

Ein markantes Element der Katha-Upanishad ist die Betonung der Meditation (Dhyana) und Konzentration (Dharana) als Mittel zur Erleuchtung. Sie erläutert, dass durch strenge Übung und hingebungsvolle Meditation, das individuelle Bewusstsein schließlich in der Lage ist, über den Körper und das materielle Universum hinaus zu wachsen und das wahre spirituelle Selbst (Atman) zu erkennen.

Die Katha-Upanishad ist damit eine der prägnantesten und tiefsinnigsten Quellen der Yoga-Philosophie und hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung und Gestaltung dieser spirituellen Disziplin gehabt. Die darin enthaltenen Weisheiten und Lehranleitungen sind auch heute noch relevant und bieten eine wertvolle Grundlage für die Praktizierenden auf ihrem Weg zur Selbstverwirklichung.

Vasishta Yoga

Die Schriften des Vasishta Yoga, auch bekannt als Yoga Vasishta, stellen einen bemerkenswerten Meilenstein in der Entwicklung der Yoga-Praktiken dar. Vermutlich im 6. bis 7. Jahrhundert verfasst, erzählt diese beeindruckende Schrift in Form eines Dialogs zwischen dem weisen Vasishta und dem Prinzen Rama Geschichten und lehrreiche Anekdoten. Der Text ist bekannt für seine tiefgründigen metaphysischen Diskurse und die Darstellung eines erweiterten Yoga-Konzepts, das sich auf die Entdeckung und Realisierung der ultimativen Wirklichkeit, des Brahman, konzentriert.

Goraksha Samhita

Anknüpfend an die tiefgehenden philosophischen Konzepte der früheren Schriften vermittelt die Goraksha Samhita sachliche Anleitungen zur praktischen Ausübung von Hatha Yoga. Dieser Text aus dem 10. bis 11. Jahrhundert wird dem mystischen Yogameister Goraksha zugeschrieben und bietet einen umfassenden Leitfaden für eine Vielzahl von Asanas, Pranayamas, Mudras und Bandhas. Die Goraksha Samhita dient bis heute als Referenzwerk für viele praktizierende Yogis und bietet wertvolle Einblicke in die Anwendung traditioneller Yoga-Methoden.

Shiva Samhita

Ein weiterer bemerkenswerter Text, die Shiva Samhita, präsentiert umfassende Informationen zu Hatha Yoga, einschließlich physischer Übungen, Atemtechniken und Meditation. Zusätzlich ordnet diese wertvolle Sammlung Yoga innerhalb des breiteren Systems der indischen Philosophie und Spiritualität ein, was sie besonders einzigartig und erhellend macht. Es wird angenommen, dass diese Schrift im 15. oder 16. Jahrhundert erstellt wurde, und sie hat einen großen Beitrag zur Vermittlung und Weiterentwicklung der Yoga-Praxis geleistet.

Bhagavad Gita

Die Bhagavad Gita ist ein weiteres grundlegendes Werk, das die Entwicklung des Yoga maßgeblich geprägt hat. Der vermutlich zwischen dem 5. und dem 2. Jahrhundert v. Chr. entstandene Text ist ein integraler Bestandteil des eposhaften Mahabharata, Die Bhagavad Gita führt uns durch eine eindringliche poetische Unterhaltung über die Pflicht, das Recht und den spirituellen Pfad, und ist bis heute eine strahlende Quelle der Inspiration für Yogapraktizierende.

Für dessen lebendige und dynamische Praxis sind die tieferen Schichten und Bedeutungen von Yoga erst durch das sorgfältige Studium der traditionellen Schriften vollständig erschlossen und freigelegt.

Es ist unumstritten, dass diese altmeisterlichen Artefakte weit mehr sind als simple historische Texte; sie agieren vielmehr als lebendige Leitsterne, die jeden Yoga-Praktizierenden auf der gründlichen Erforschung seines Daseins und seiner Übungen führen. Es ist diese Literatur, die uns einen vertieften Einblick in unsere eigene Psyche erlaubt, uns auf der Reise zur inneren Balance und Harmonie begleitet – ein Weg, der in der heutigen Zeit genauso bedeutsam ist wie vor mehreren Jahrhunderten.

Patanjali: Yogasutra

Mit Sicherheit muss das Yogasutra des Patanjali an einer der vordersten Stellen jeder Diskussion über Schlüsseltexte im Yoga stehen. Wohl im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung entstanden, besteht kein Zweifel daran, dass es einer der einflussreichsten Yoga-Texte ist. Es etabliert einige philosophischen Grundprinzipien, die dem heutigen Yoga zugrunde liegen.

Das Yogasutra ist in vier Kapitel unterteilt und umfasst insgesamt 196 Sutras oder „Leitfäden“. Diese knappen, aphorismatischen Aussagen sind wie Perlen auf einer Schnur – jede für sich ist wertvoll, aber zusammen entfalten sie ihr volles Potenzial. Sie erkunden Aspekte wie Ethik, Meditation und das endgültige Ziel des Yoga: die Erlangung von Samadhi oder der vollkommenen Selbstverwirklichung.

Ein wesentliches Prinzip, das im Yogasutra eingeführt wird, ist das der Ashtanga oder „achtgliedrigen Pfad“. Dieser Pfad schreibt die acht Aspekte vor, die der Praktizierende meistern muss, um Samadhi zu erreichen: Yama (ethische Standards), Niyama (Selbstdisziplin), Asana (Körperhaltungen), Pranayama (Atemkontrolle), Pratyahara (Sinnesentzug), Dharana (Konzentration), Dhyana (Meditation) und Samadhi (Selbstverwirklichung).

Über die Jahrhunderte hinweg haben unzählige Kommentare und Interpretationen das Yogasutra beleuchtet, und es bleibt eine lebendige Textgrundlage, die das Herz dessen trifft, was Yoga wirklich ist. In dem Motiv des achtgliedrigen Pfades finden wir einen Fokus, der auf Transformation, Beherrschung, Harmonie und letztlich die Freiheit des individuellen Selbst abzielt.

Vasugupta: Shiva Sutras

Die Shiva Sutras, verfasst von Vasugupta im 9. Jahrhundert, markieren einen Wendepunkt in der Geschichte des Yoga, indem sie sowohl die Philosophie des Advaita Vedanta als auch die Traditionen des Shaiva-Shakti Tantra miteinander verschmelzen. Die 77 Aphorismen, die diese heilige Schrift ausmachen, befassen sich mit der Ontologie, Soteriologie und der mystischen Praxis, indem sie einen detaillierten Plan zur Befreiung durch das Erwachen der Kundalini-Energie darstellen.

In ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit sind die Shiva Sutras eine Verschmelzung metaphorischer, symbolischer und rationaler Elemente. Sie umfassen drei Teile, die im Tantrismus als Erwachen, Beherrschung und Vollkommenheit bekannt sind. Dieser Lehrtext weist auf die Feinheit des Bewusstseins hin, das durch die Linsen von Kreativität, Wissen und Handeln wahrgenommen wird.

Die Shiva Sutras präsentieren eine umfassende Sicht auf das Universum und den Platz des Menschen darin, mit der subtilen Metaphysik des Bewusstseins und der Kraft der Selbstrealisierung. Sie sehen den Körper nicht nur als physische Entität, sondern auch als den Tempel des Göttlichen. Die praktischen Anwendungen des Yoga werden betont, wobei die Disziplin der Meditation und Kontemplation hervorgehoben wird.

Die Leitmotive des Textes – die Verschmelzung von Bewusstsein und Energie, die Vereinigung von Shiva und Shakti, sowie das Erwachen zur vollkommenen Erkenntnis durch den Fluss der Kundalini-Energie – haben unzählige Yogis und Yoginis inspiriert und berührt. In ihrer tiefgründigen Weisheit bieten die Shiva Sutras von Vasugupta sowohl eine Anleitung für das persönliche Wachstum, als auch eine philosophische Grundlage für die Yogapraxis.

Kallata: Spandakārikā

Die Spandakārikā, auch als „Verse über das  Erschauern“ bekannt, ist eine prägnante Textsammlung, verfasst von Kallata, einem der großen philosophischen Pioniere des 9. Jahrhunderts in Kashmir und Schüler von Vasugupta. Seine Schriften kennzeichnen eine bedeutende Wende in der Geschichte des Yogas und schlagen eine Brücke von der klassischen Tradition zur Tantrischen Praxis.

Die Spandakārikā basiert auf dem Prinzip der spontanen Vibration, des Erschauerns oder der Bewegung (Spanda) als Ausdruck des göttlichen Bewusstseins. Das besondere an dieser Textsammlung ist, dass sie den Fokus weg von der Extraktion des Selbst aus der sinnlichen Welt legt und statt dessen den Pfad des Yoga als eine Methode zum Verständnis und zur Verehrung der Welt als Ausdruck göttlicher Macht darstellt.

In seiner Schrift stellt Kallata die ununterbrochene Bewegung oder Schwingung des absoluten Bewusstseins als das zentrale Element seiner philosophischen Reflexion dar. Diese Vorstellung öffnet im Yoga eine Brücke zu einer integrativen Wahrnehmung, in welcher der Körper nicht länger als Gefängnis der Seele betrachtet wird, sondern als ihr Tempel.

Die Spandakārikā ist in 53 Verse unterteilt, die sowohl die theoretischen als auch die praktischen Aspekte des Spanda-Prinzips behandeln. Diese Verse bieten eine tiefe und komplexe Einsicht in die Natur von Bewusstsein und Realität und ihre Beziehung zu den Praktiken des Yoga.

Kallata fordert die Praktizierenden auf, in die subtilen Bewegungen des Körpers, des Atems und des Geistes einzutauchen, um die ständige Schwingung des Bewusstseins zu erfahren. Diese inneren Schwingungen, so Vasugupta, sind ein direkter Pfad zur Erkenntnis der eigenen göttlichen Natur.

„Spanda ist die pulsierende Kraft des göttlichen Bewusstseins.“

Insgesamt hat die Spandakārikā eine Schlüsselstellung in der Entwicklung des Yoga im Laufe der Jahrhunderte eingenommen. Ihre Lehren haben nicht nur den Weg für die tantrischen und nondualen Yogatraditionen geebnet, sondern auch die modernen Perspektiven auf die Praxis und Philosophie des Yoga geprägt.

Abhinavagupta: Tantrāloka

Das Tantrāloka, der auf das 10. oder 11. Jahrhundert zurückgeht, ist ein tiefgründiges Textwerk des großen Gelehrten Abhinavagupta, dessen Schriften eine immense Auswirkung auf den Verlauf der yogischen Praktiken hatten. Als einer der grundlegenden Texte des Tantrik-Yoga, bietet dieses epische Werk eine detaillierte Wissenschaft über die Realität des Seins und die Kunst der Befreiung.

Die in diesem Werk enthaltenen Lehren enthüllen die Prinzipien und Techniken des tantrischen Yoga und geben einen weitreichenden Einblick in die komplexen Praktiken der Meditation, Verehrung und spirituelle Transformation. Es markiert eine entscheidende Wegwendung von den dualistischen Übungen hin zu nicht-dualistischen, allumfassenden Praktiken, die den menschlichen Körper als Tempel des Göttlichen betrachten.

In den Worten von Abhinavagupta selbst, „Der eigene Körper ist das Instrument, mittels dessen diese Welt erkundet werden kann…“

Die konkreten Methoden, die im Tantrāloka für die Erweckung und Nutzung der Kundalini-Energie dargelegt sind, stellen einen wichtigen Meilenstein in der Evolution des Yoga dar und haben die Lehren vieler Nachfolgegenerationen beeinflusst.

Zusammengefasst ist das Tantrāloka ein essenzielles Werk, das einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung und Definition des Yogas hatte und weiterhin eine bemerkenswerte Rolle bei der Ausbildung von Yoga-Praktikern spielt.

Das Tantrasara von Abhinavagupta ist eine komprimierte Version des Tantrāloka.

Kṣemarāja: Pratyabhijñāhṛdaya

Das Pratyabhijñāhṛdaya, oder „Das Herz der Anerkennung“, ist eine entscheidende Schrift für das Verständnis der Yoga-Praktiken, besonders in der Hinsicht auf Selbstbewusstsein und Selbstverwirklichung. Diese wurde im 11. Jahrhundert von Kṣemarāja verfasst und stellt die existentialistischen Lehren der kashmirischen Shaiva-Tradition vor.

Im Fokus dieser faszinierenden Schrift steht die Vorstellung, dass das einzige wirkliche Wissen, das ein Yogi anzustreben hat, das Wissen über das eigene Selbst ist. Pratyabhijñā, wörtlich „Selbsterkenntnis“ oder „Wiedererkennen“, beschreibt den Prozess, in dem das Individuum seine wahre Natur als göttliches Bewusstsein erkennt.

Zentral für das Pratyabhijñāhṛdaya ist die Vorstellung, dass das Bewusstsein selbst eine Form der göttlichen Realität ist und dass die Verwirklichung dieses göttlichen Bewusstseins der ultimative Zweck aller Yoga-Praktiken ist. Dieser elegante Text besteht aus 20 kurzen Sanskrit-Aphorismen, die die innere Reise des Erkennens und das Verständnis des eigenes Selbst durchdrungen von Metaphern und Analogien darstellen.

Das Pratyabhijñāhṛdaya lehrt uns, dass die Erleuchtung nicht in der Abwesenheit des individuellen Selbst oder in der Transzendenz des physischen Körpers zu finden ist, sondern in der Erkenntnis und vollen Akzeptanz unserer eigenen göttlichen Präsenz.

Es ist wichtig, zu beachten, dass das Pratyabhijñāhṛdaya nicht nur reine Philosophie darstellt. Vielmehr liefert es praktische Anleitungen und Übungen zur Kultivierung des Selbsterkennens und zur Verwirklichung des eigenen göttlichen Zustandes. Diese Techniken beinhalten vor allem Meditation, Atmung und inneres Schauen.

Mit seiner eingehenden Analyse der Natur des Selbst und seiner praktischen Anweisungen für die selbstreflektierende Praxis passt das Pratyabhijñāhṛdaya nahtlos in unserer Bestreben, die Schlüsseltexte und Schriften zu verstehen, die die Yoga-Praktiken im Laufe der Zeit geformt haben.

Vijnana Bhairava Tantra

Das Vijnana Bhairava Tantra ist ein außergewöhnlicher Text, der tief in die Praxis der Meditation und des Bewusstseinsschutzes eintaucht. Obwohl er im ursprünglichen Kontext des Shaiva Tantra verankert ist, wird er heute auf eine bemerkenswert breite und vielfältige Weisen interpretiert und praktiziert, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Yoga- und Tantra-Gemeinschaften.

In diesem Text stellt Shiva Bhairava, der Aspekt Shivas, der für seine zerstörerische und transformative Kraft bekannt ist, 112 Meditationstechniken oder Dharanas vor. Jede Technik wird als ein Portal zum Erreichen des transzendenten Bewusstseinszustandes beschrieben, der durch Worte wie Samadhi und Nirvana in verschiedenen traditionellen Kontexten wiedergegeben wird.

Diejenigen, die den Text studieren, werden oft von der Vielfalt der Techniken fasziniert, die von scheinbar einfachen Atemübungen bis zu komplexen Praktiken reichen, die sich auf Visualisierungen, Mantras, Mudras und spezifische Asanas konzentrieren. Aber darüber hinaus zieht das Vijnana Bhairava Tantra einen Großteil seines Wertes aus der Art und Weise, wie er alle Techniken innerhalb einer umfassenden kosmischen Vision einbettet, die auf der Nicht-Dualität von Shivas und Shaktis dynamischen und statischen Aspekten beruht.

Als solcher bietet das Vijnana Bhairava Tantra eine äußerst reichhaltige Quelle geistlicher Inspiration und Praktiken für den modernen Yoga-Praktizierenden und ermöglicht so ein tieferes Engagement und Verständnis der philosophischen Dimensionen dieser Praktiken.

Nichtsdestotrotz, obwohl der Text insbesondere im Westen weithin bekannt und praktiziert ist, ist es wichtig zu beachten, dass das Vijnana Bhairava Tantra, wie die meisten tantrischen Schriften, intensive Studien verlangt, die oft den wertvollen Einblick und die Unterstützung eines erfahrenen Lehrers oder Meisters erfordert.

Swatmarama: Hatha Yoga Pradipika

Die Hatha Yoga Pradipika ist ein weiterer grundlegender Text im Yoga, der im 14. oder 15. Jahrhundert von Swatmarama verfasst wurde. Dieser Text ist vor allem von Bedeutung, da er sich explizit auf die Praxis des Hatha Yoga konzentriert, dem Vorläufer des heutigen vor allem körperlich ausgerichteten Yoga, das heute als „modern postural yoga“ MPY sehr populär ist.

Die Hatha Yoga Pradipika enthält detaillierte Informationen über Asanas (Körperhaltungen), Pranayama (Atemkontrolle), Chakras (Energiezentren im Körper), Kundalini (schlummernde spirituelle Energie), Bandhas (Energieschleusen) und Mudras (energetische Siegel). Sie legt den Grundstein für die physikalischen Aspekte des Yoga und bietet eine umfassende Anleitung für eine transformative Körperpraxis.

Dieser Text ist gleichermaßen praktisch und geheimnisvoll, er verbindet die physische mit der metaphysischen Welt und bietet Praktizierenden tiefe Einblicke in die subtilen energetischen Prozesse, die im Herzen des Yoga wirken.

Empfehlenswerte Literatur zu einigen vorgestellen Yoga-Klassikern

Zum weiteren Eintauchen in diese weltbewegende Philosophie empfehle ich unter anderem Literatur, die in deutscher Sprache übersetzt wurde und doch die nuancierte Weisheit der originalen indischen Schriften präsentiert. Zu den empfehlenswerten Werken zählen:

  • Die Katha Upanischad ist hier enthalten: „Die Upanischaden“ übersetzt von Eknath Easwaran.
  • Bhagavadgita: Das Lied der Gottheit“ von Helmuth von Glasenapp.
  • Zum Yogasutra gibt es zahlreiche hervorragende Literatur. Meine Lieblingsausgabe ist „Der Yogaleitfaden des Patanjali“ – Sanskrit/Deutsch von Reinhard Palm (Hrg. und Übersetzer).
  • Die Yoga Tradition: Geschichte, Literatur, Philosophie und Praxis“ von Georg Feuerstein
  • Licht auf Yoga: Das gundlegende Lehrbuch des Hatha-Yoga“ von B.K.S Iyengar
  • Das Buch „Tantra Yoga: Vijnana Bhairava Tantra – der Weg zur höchsten Erkenntnis“ des Praktikers Daniel Odier offenbart die philosophische Tiefe des Vijnana Bhairava Tantra und dessen Auswirkungen auf den Alltag.
  • Bettina Bäumer: „Vijnana Bhairava – Das göttliche Bewußtsein.: 112 Weisen der Mystischen Erfahrung im Sivaismus von Kashmir“ – Übersetzung und Interpretationen des Vijnana Bhairava Tantra.
  • Der Yoga der höchsten Identität: Die Shiva-Sutras von Vasugupta“ von Jaideva Singh (Autor), Gabriele Schindler (Übersetzer)
  • The Stanzas on Vibration“ von Mark S. G. Dyczkowski. Die Spandakārikā. Spanda ist die Schwingungsdynamik des absoluten Bewusstseins und wird hier als zentrales Thema des kaschmirischen Shaivismus gewürdigt.
  • Licht auf Tantra: Die Philosophie hinter dem modernen Yoga“ von Christopher Wallis. DIE Einführung in das nonduale Shaiva-Tantra.
  • TANTRALOKA THE LIGHT ON AND OF THE TANTRAS – VOLUME ONE: Volume One – Chapter One“ Übersetzung von Mark Dyczkowski.
  • The Recognition Sutras: Illuminating a 1,000-Year-Old Spiritual Masterpiece“ von Christopher Wallis. Übersetzung und Kommentierung von Kṣemarājas Pratyabhijñāhṛdaya.
  • Hatha-Yoga Pradipika: Die Leuchte des Hatha Yoga“ von Swami Svatmarama

Die vorgeschlagenen Bücher bieten einen tieferen Einblick in die Welt des Yoga, seine Praktiken und den philosophischen Hintergrund. Sie sind daher eine wertvolle Ergänzung für jeden Yoga-Enthusiasten, der vertieftes Wissen auf diesem Gebiet anstrebt.

Empfehlenswerte Internetseiten zu Tantra und Yoga

Yoga und Tantra sind komplexe, tiefgründige Traditionen, die reichlich Raum für persönliches Studium und Weiterbildung bieten. In unserer modernen Zeit des Internets eröffnet sich eine neue Welt des Lernens und der Entdeckung. Eingedenk dessen, hier einige empfehlenswerte Internetseiten zu Tantra und Yoga:

  • Für diejenigen, die mehr über den nondualen Shaiva-Shakta Tantra wissen möchten, ist die Website von Hareesh (www.hareesh.org) eine sehr gute Wahl. Sie bietet zahlreiche Artikel über den nondualen Shaiva-Tantra und Podcasts für tiefergehende Studien.
  • THE TRIKA SHAIVISM OF KASHMIR. Anuttara Trika Kula – Lectures, Writings, Music. Die Website von Dr. Mark Dyczkowski, ein weiterer exzellenter Forscher und Sanskrit-Übersetzer.
  • Die Website von Bettina Sharada Bäumer bietet ebenfalls wichtige Informationen zu den Themen Vijnana Bhairava Tantra, Kaschmirischer Shaivismus und Abhinavagupta.
  • Wikipedia (englisch) über den nondualen Shaiva-Shakta Tantra, der oft auch als Kaschmirischer Shaivismus bezeichnet wird.
  • Die Website des International Journal of Yoga (www.ijoy.org.in) ist ebenfalls wertvoll, besonders für diejenigen, die sich für Yoga-spezifische Forschungsarbeiten interessieren. 
  • Der Blog von Yoga Synergy (englisch) informiert auf interessante Weise und wissenschaftlich fundiert über Themen des modernen Yoga.
  • Die Yogaseite von YogaVidya erhebt für sich den Anspruch sehr informativ zu sein. Allerdings ist eine weltanschauliche Neutralität nicht immer gegeben.

Zu guter Letzt die Empfehlungsliste von Christopher Wallis auf amazon.com: Die beste klassische Tantra-Buchliste aller Zeiten.